Kuration

15. Trienniale Kleinplastik Fellbach

Elke aus dem Moore

Dinge können Ruhepole des Lebens darstellen. Sie nehmen oft eine dauerhafte Form an und gewährleisten eine gewisse Kontinuität. Den „Weltdingen“ kommt – im Sinne von Hannah Arendt – die Aufgabe zu „menschliches Leben zu stabilisieren“. Wenn Dinge verschwinden, droht die Gefahr, dass auch Erinnerungen schwinden. Dinge, auch künstlerische Objekte sind in soziale und gesellschaftliche Kontexte eingebunden. Objekte sind lebendig, sie vibrieren und erzeugen Resonanz. Gehen sie auf Reisen, verschieben sich ihre Bedeutungen und Werte. Sie besitzen eine Aufladung, die sich verändern und gar verschwinden kann.

In der Konzeption der Triennale stehen die Beziehungen, Geschichten und Eigenschaften von Objekten im Mittelpunkt. Ausgehend von einer Wirkmacht oder Beseeltheit der Dinge, werden Fragen nach veränderten Weisen des Zusammenlebens gestellt. Wie entstehen Beziehungen und Erfahrungen durch Kunstobjekte? Ist eine Verwandlung, eine Erneuerung – im individuellen wie auch gesellschaftlichen Kontext - durch Kunst möglich? Ein Teil der 15. Edition der Triennale Kleinplastik Fellbach findet dieses Jahr erstmals in einem digitalen Ausstellungsraum statt. Skulpturale Objekte entstehen heute nicht mehr nur durch die physische Bearbeitung von Material, sondern auch unter Einbeziehung von Algorithmen, spezifischen Softwares, und lassen uns den Begriff der skulpturalen Plastizität neu denken. Künstler*innen wie Nora Al-Badri, Tiare Ribeaux, Mohsen Hazrati, Mary Maggic, Jan Nikolai Nelles sowie Nkhensani Mkhari zeigen ihre Skulpturen sowohl im physischen wie auch im virtuellen Ausstellungsraum.

Der Hauptteil der 15. Triennale Kleinplastik Fellbach findet in der Alten Kelter, Untertürkheimer Straße 33, 70734 Fellbach statt. Alle Informationen diesbezüglich finden Sie hier: www.triennale.de

In einer Zeit des Wandels, die als Quantenzustand beschrieben wird, ist die Auflösung von bisher binär erlebten Grenzen zentral. Grenzen zwischen virtuell und real, digital und analog oder materiell und immateriell werden unscharf und lösen sich auf. Eine Haltung der klaren Grenzen, Absolutismen oder sich ausschließenden Alternativen wird abgelöst von der der Zwischentöne und parallelen Möglichkeiten. Aus einem Entweder-oder wird ein Sowohl-als-auch. Erkennbar und erlebbar wird die Tatsache, dass alles mit allem verbunden ist.
In einer Zeit der Digitalität hat auch diese Erweiterung und Transformation zentrale Auswirkungen auf die Kunst. Die Einbettung des Digitalen in unsere materielle Welt erweitert das Verständnis von Skulptur auf radikale Weise, wie Mara-Johanna Kölmel in ihrem Beitrag über Digitale Plastizität erläutert. Der Text kann als roter Faden gelesen werden, der die hier ausgestellten Kunstwerke miteinander verbindet.
Skulpturale Objekte entstehen heute nicht mehr nur durch die physische Bearbeitung von Material, sondern auch unter Einbeziehung von Algorithmen, spezifischen Softwares, und lassen uns den Begriff der skulpturalen Plastizität neu denken. Ein Teil der 15. Edition der Triennale Kleinplastik Fellbach findet deswegen erstmals auch hier, im digitalen Ausstellungsraum statt.
Nora Al-Badri Tiare Ribeaux Mary Maggic
Nkhensani Mkhari Jan Nikolai Nelles
Mohsen Hazrati

Digitale
Plastizität

Von einem kunsthistorischen Phänomen zu Architekturen der Gegenwart

Mara-Johanna Kölmel

Die vielseitigen Auswirkungen digitaler Technologien auf unser Leben machen auch vor den Künsten keinen Halt. Vor allem unser Verständnis von Skulptur könnte sich durch die Möglichkeiten, die digitale Technologien eröffnen, radikal erweitert haben.

Die Arbeiten von Nora Al-Badri, Jan Nikolai Nelles, Nkhensani Mkhari, Mary Maggic, Tiare Ribeaux und Mohsen Hazrati sind Stimmen einer Zeit, in der die weitreichende Digitalisierung unserer Welt gängige Unterscheidungen zwischen dem Virtuellen und dem Realen, dem Digitalen und dem Analogen, dem Materiellen und dem Immateriellen noch unschärfer hat werden lassen. Sie erforschen die grundlegende Erweiterung und Transformation, die das Skulpturale durch das Digitale erfahren hat.
Traditionell beinhaltete plastische Kunst die physische Bearbeitung eines plastischen Mediums durch Verfahren wie Gießen oder Modellieren. Heute können Künstler*innen skulpturale Objekte jedoch durch die Verwendung von 3D-Technologien bereits schaffen, bevor sie sie in eine physische Form übertragen. Dieser Beitrag untersucht verschiedene Formen digitaler Plastizität in aktuellen skulpturalen Schaffensprozessen.1 Dabei werden auch historische Definitionen skulpturaler Formbarkeit beleuchtet, die sich um Fragen der Wandlungsfähigkeit, materiellen Handlungsfähigkeit und plastischen Kraft entfaltet haben.

1 Zu diesem Thema siehe weiter Mara-Johanna Kölmel, Sculpture in the Augmented Sphere: Reflections at the Intersection of Corporrality, Plasticity and Monumentality, Doktorarbeit (Lüneburg: Leuphana Universität 2021, im Erscheinen).

Artists

Wenn Künstler*innen nun ihre skulpturalen Objekte auf Grundlage von Algorithmen, mit Hilfe speziell angefertigter Software oder anhand digitaler Prototyping-Technologien modellieren, wie muss der Begriff skulpturaler Plastizität
dann überdacht werden?

Babylonian
Vision

Nora
Al-Badri

In Nora Al-Badris Babylonian Vision generiert ein zuvor trainiertes neuronales Netzwerk sogenanntes „Techno-Erbe“. Ihr spekulativer Ansatz gegenüber Archäologie basiert auf der algorithmischen Neukombination von Bildern mesopotamischer, neo-sumerischer und assyrischer Artefakte, die durch Web Crawling und Scraping aus den digitalen Sammlungen von fünf großen Museen zusammengesucht wurden.
Daraus entstehen KI-gesteuerte Objekt-Visionen, die als Unterbewusstes eines kollektiven Gedächtnisses fungieren. Im Code verkörperte algorithmische Befehle erzeugen so neue plastische Formen. Während die Plastizität von Al-Badris Arbeiten vor allem im flachen Bildschirm verbleibt, wohnt ihnen doch das Potenzial inne, im Moment ihrer Materialisierung durch digitale Prototyping-Technologien als physische Objekte in Erscheinung zu treten. Der gewaltvollen kolonialen Patina, die einem Großteil des kulturellen Verlustes in den Gebieten des heutigen Irak anhaftet, wird dabei eine fiktive, generative und zukunftsorientierte Objektproduktion entgegengesetzt.

Vor dem Hintergrund, dass sich die ästhetischen Eigenschaften ihrer Arbeiten aufgrund der Rekombination von Bildern durch ein algorithmisches System ständig weiterentwickeln, tritt Plastizität hier als Kategorie auf, die eng mit materieller Handlungsfähigkeit verbunden ist – dem Nehmen, Schaffen und Verleihen von Form. Ein solches Verständnis von Plastizität orientiert sich an den etymologischen Ursprüngen des Begriffs – das altgriechische Wort plassein beschrieb das Gießen und Formen weicher und wandelbarer Materie –, ist aber auch eng mit einer modernen Tradition von Skulptur verbunden.2
In den Kunstwerken und Schriften der Moderne wurde Plastizität als Kategorie verstanden, die eng mit materieller Handlungsfähigkeit, Flexibilität, Schmiedbarkeit und dem Potenzial eines Materials verbunden war, sich weiterzuentwickeln. Befördert durch Naturwissenschaften und die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, sollte Plastizität hier die polymorphen und handlungsfähigen Eigenschaften eines Materials,

2 Christina Dongowski, „Plastisch“, in Ästhetische Grundbegriffe: Historisches Wörterbuch in Sieben Bänden, eds. Karlheinz Barck et al. (Stuttgart: J.B. Metzler, 2010), S. 815. Dieses formell- technische Verständnis ist mit dem Ursprung von „Plastik“ in der Antike verbunden. Das griechische Wort „plassein“ beschreibt sowohl das Gießen und Formen weicher Materie wie Ton, als auch den Akt des Formens einer Person durch Praxis und Bildung. Es kann auch „etwas aushecken“ oder „lügen“ bedeuten.

seine intrinsische Energie und seine tatsächliche stoffliche Präsenz in den Vordergrund rücken.3
Dieses Verständnis von Plastizität ersetzte langsam eine hylemorphistische Struktur, die sich aus der Polarität von Materie und Form entwickelt hatte und
in der künstlerisches Material bis zu seiner „Animation“, oder bis ein Geist oder (männlicher) Schaffender ihm eine Seele verlieh, als formlos verstanden wurde.
Der Beitrag der Moderne zum Plastizitätsdiskurs findet sich auch heute noch in künstlerischen und philosophischen Ansätzen wieder. Jane Bennett spricht beispielsweise von der „materiellen Handlungsfähigkeit natürlicher Körper und technologischer Artefakte“ und schreibt zeitgenössischen Objekten „Ding-Macht“ zu.

3 Siehe Dietmar Rübel, Plastizität. Eine Kunstgeschichte des Veränderlichen (München: Verlag Silke Schreiber, 2012, S. 32.
4 Siehe zum Beispiel die aristotelische Hylemorphismus-Theorie. Er definiert eine Seele als das, was ein lebendes Ding lebendig macht. Leben ist genauso wie Wissen und Gesundheit eine Eigenschaft lebendiger Dinge. Daher ist eine Seele eine Form – das heißt, ein spezifizierendes Prinzip oder Grund – eines lebenden Dings. Weiter geht Aristoteles davon aus, dass sich eine Seele zu ihrem Körper genauso verhält wie Form zu Materie. Aristoteles, On the Soul (Über die Seele), trans. Thomas Taylor (Frome: Prometheus Trust, 2003).
5 See, for example, Aristotle's theory of hylomorphism. He defines a soul as that which makes a living thing alive. Life is a property of living things, just as knowledge and health are. Therefore, a soul is a form—that is, a specifying principle or cause—of a living thing. Furthermore, Aristotle says that a soul is related to its body as form to matter. Aristotle, On the Soul, trans. Thomas Taylor (Frome: Prometheus Trust, 2003).
7 Jane Bennett, Vibrant Matter: A Political Ecology of Things (Durham: Duke University Press Books, 2010), S. xii.

Bioplastics Cookbook for Ritual Healing

Tiare
Ribeaux

Das erneuerte Interesse an der Handlungsfähigkeit und Plastizität von Materialien zeigt sich auch in der Arbeit von Tiare Ribeaux. Ihr online veröffentlichtes DIY Rezept- und Bilderbuch Bioplastics Cookbook for Ritual Healing (Biokunststoff-Kochbuch für rituelle Heilung) zeichnet die Plastizität von Umgebungen nach, die so stark von synthetischen Materialien vorbestimmt und strukturiert sind, dass jeglicher Naturzustand dagegen wie durch sterile Plastikfolie vermittelt wirkt. Ihre sich zwischen Herstellungsweisen, wissenschaftlichen Fakten und Storytelling entfaltende digitale Datenbank ermutigt uns dazu, plastische Formen anhand von Rezepten zu schaffen, die verschiedene Lebensmittelkunststoffe oder tierische Biokunststoffe verwenden.

Indem sie diese Kunststoffformen an Wandelbarkeit, Formbarkeit und Schmiedbarkeit knüpft, untersucht Ribeaux ihre Plastizität und materielle Handlungsfähigkeit. Die Plastizität der ständig den Materialzustand verändernden skulpturalen Formen lässt dabei die Grenzen zwischen menschlicher und nicht-menschlicher Handlungsfähigkeit und Handlungsmacht verschwimmen. In dem diese Formen, wie Ribeaux argumentiert, „ein Eigenleben“ annehmen, fordern
sie uns auf, unsere Beziehung zu einer geteilten jedoch verschwindenden Welt zu überdenken.6

6 Tiare Ribeaux, „Bioplastics Cookbook for Ritual Healing: Interview with Tiare Ribeaux conducted by Denise Sumi“, in Schlosspost, 7. März 2019, Zugriff: 4. Februar 2022, https://www.akademie-solitude.de/de/web-residencies/bioplastics-cookbook-for-ritual-healing/.

Website Link

GENITAL( *)
PANIC

Mary
Maggic

In einem ähnlichen Ansinnen untersucht Mary Maggic, wie sich die zerstörerischen Auswirkungen
der Menschheit nicht nur in die Plastizität unserer Umgebungen, sondern auch unserer Körper eingeschrieben haben. Ihre Arbeit GENITAL( * )PANIC entstand aus ihrer Forschung dazu, wie Körper historisch bedingt
reguliert, überwacht und kontrolliert wurden. Jahrhunderte lang hat die Kontrolle und Organisation
von Körpern durch Geschlechterdifferenzierungen die Diversität, Fluidität, Wandelbarkeit und daher auch Plastizität unserer Körper übersehen.

Ausgangspunkt für Maggics Video-Manifest ist die immer noch gängige wissenschaftliche Methode des „Anogenitalen Abstands (AGD)“, die das Fortpflanzungspotenzial anhand des Abstands zwischen Anus und Genitalien untersucht. Die Arbeit wird von einer digitalen Datenbank begleitet, in der 3D-Scans von Genitalien und AGD-Messungen gespeichert sind, die durch interaktive Genitalscans entstehen. Die Plastizität ihrer digitalen Genitalien stützt sich dabei auf die

Wandel- und Formbarkeit von Code und geht mit dem Aufruf einher, die Formveränderung, Unbeständigkeit und partielle Plastizität unserer Körper anzuerkennen. So inszeniert Mary Maggic nicht nur auf humorvolle Art die gewaltvolle Geschichte körperschaftlicher Wissenschaftsprotokolle, sondern stellt darüber hinaus affirmative DIY-Methoden zur Verfügung, um ebensolche tradierten Ansätze zu queeren und Genital-Ästhetiken neu zu definieren.

Zibuyile Zinkisi

Nkhensani Mkhari

Die lange Dauer des Kolonialismus hat die in der Plastizität von Körpern und Objekten – besonders solchen, die von weit entfernten Küsten geplündert wurden – verschlüsselte Gewalt verdeckt. In der Arbeit Zibuyile Zinkisi oder „Die Rückkehr der Nkisi“ thematisiert Nkhensani Mkhari diese Spannung. Er reaktiviert die Geschichte und Bedeutung der verlorenen skulpturalen Formen der Bantu-Kongo. Minkisi sind undefinierbare Objekte oder Holzfiguren, meist geschnitzte Menschen- oder Tierformen, die mit Eisennägeln gespickt sind.
In der Bantu-Kosmogonie verfügen diese Figuren nicht nur über Kräfte zur körperlichen oder spirituellen Heilung, sondern auch über das Potenzial, soziales Gleichgewicht, Gerechtigkeit und damit auch das Wohlbefinden des Kongo Dorfes wiederherzustellen. Mkhari übersetzt die kraftvolle Präsenz dieser Figuren in eine 3D-Umgebung, indem er sie als digitale Objekte rendert. Auch hier wird Code zu einem künstlerischen und skulpturalen Material.
Die digitale Plastizität der Arbeiten verdoppelt sich durch ihren physischen Counterpart in dem Moment, in dem die Nkisi sich durch den 3D-Druck materialisieren. Ihre restaurativen und heilenden Kräfte reaktivieren dabei eine lange Ahnengeschichte, die sich vom physischen über den digitalen Raum und zurück erstreckt.

Beheaded Buddha

Jan Nikolai Nelles

Auch Jan Nikolai Nelles denkt über das Potenzial von Technologie nach, als spekulatives Material zu dienen, das die Fähigkeit hat, eine alternative Syntax für kollektive Heilung zu formulieren.
In seiner Arbeit verbindet der Künstler Antikes mit Futuristischem, indem er seinem Beheaded Buddha (Enthaupteter Buddha) eine Stimme verleiht. Unzählige Male wurde Buddha der Kopf nicht nur gewaltvoll vom Körper, sondern auch aus seinem kulturellen Kontext gerissen. Das skulpturale Objekt kennzeichnet damit „kulturelles Fracking“ – die gewaltvolle Entnahme kulturellen Erbes, die den Subtext vieler Museumssammlungen im globalen Norden schreibt.
Untermauert von der eigenen Erfahrung des Künstlers beim Besuch in Angkor Wat, wurde Nelles 3D-Datenobjekt durch KI-gesteuerte Wegpunkttechnologie und Messbildverfahren generiert. Seine digitale Plastizität macht dabei mathematische Bilder und den unsichtbaren Raum von KI- und MI-Systemen nicht nur sichtbar, sondern auch ästhetisch erlebbar. Indem er den Buddha und seine Biografie auf poetische Art neu positioniert, versucht Nelles, die spirituelle Figur vom Konzept des universellen Erbes zu befreien. Gleichzeitig dekonstruiert er die Fiktion, die dominanten institutionellen Narrativen inhärent ist.

Fãl Project

Mohsen Hazrati

Mohsen Hazrati interessiert sich – wie auch Mkhari und Nelles – für restaurative, spekulative und spirituelle Praktiken sowie deren Wiederbelebung aus technologischer Perspektive. In seinem Fãl Project überarbeitet er persische Traditionen und Wissenssysteme und erobert diese zurück. Er verwendet ein KI-System mit einer umfassenden Datenbank aus Gedichten des berühmten iranischen Dichters Hafiz (1325-1390), um die jahrhundertealte Wahrsagetechnik der Bibliomantie wiederzubeleben. Bis heute ist Bibliomantie in Iran eine beliebte Praxis, die Zukunft auf Basis willkürlich ausgewählter und interpretierter Buchpassagen vorherzusagen. Sein KI-System wählt zufällig Teile aus Hafiz‘ Dichtung aus, übersetzt seine Worte in Code und sucht anhand des analysierten Inhalts

online nach Bild-, Audio- und Textdaten. Anders gesagt, nutzt Hazrati algorithmische Verfahrensweisen, um die Zukunft zu verstehen, aber eben auch, um den digitalen Raum als einen Raum zurückzuerobern, der solchen Kontexten gehört – und auch in ihnen entsteht –, die nicht ausschließlich weiß oder westlich sind. Die skulpturale Form und Präsenz des Projekts zeigt sich in der taktilen Installation Hafiz AR Book V1, die einen Bildschirm umfasst, der wiederum Hazratis KI-System zugänglich und eine immersive 3D-Erzählung erlebbar macht. Hazrati unterbreitet mit Ansatz gegenüber KI und 3D-Technologien also den Vorschlag, sowohl digitale als auch physische Plastizität als Ort neu zu codieren, an dem alternative Methoden und Geschichten erinnert werden können.

Neben den Arbeiten von Al-Badri, Ribeaux, Mkhari, Nelles und Mary Maggic evozieren die Werke von Hazrati eine Plastizität, die sowohl in physischen als auch in digitalen Bereichen sowie zwischen materiellen und scheinbar immateriellen Welten entstehen. Für die Künstler*innen werden digitale Technologien dabei nicht einfach nur zu Werkzeugen der formellen Verfeinerung, des Schaffens komplexer skulpturaler Formen oder zur Neubetrachtung sogenannter Meisterwerke des westlichen Skultpturenkanons aus Perspektive einer romantisierten Vorstellung des Künstlers als Schaffendem.

Mit der Vervielfältigung skulpturaler Objekte, die durch digitale Prozesse geformt werden, geht eine Reflektion über die tiefe Einbettung des Digitalen in unsere materielle Welt einher. In diese Arbeiten eingeschrieben sind aktuelle Herausforderungen im Miasma von Klimawandel, kolonialen Traumata sowie Xeno- und Queerphobie. Ihre digitale Plastizität wird dabei mehr als nur ein kunsthistorisches Phänomen:

Sie verweist auf die Styles einer Zeit, die Architekturen der Gegenwart, so vertraut und doch so unsichtbar, scheinbar immateriell jedoch viel mehr im Material, vermeintlich neutral und doch zutiefst politisch. Vermitteln ihre Digitalität, ihre Formbarkeit und ihre Fähigkeit, Zustände zu wechseln, immer noch Widerstandspotenzial?

Mara-Johanna Kölmel